david ramirer - Mittwoch, 27. August 2008, 21:43
david ramirer - Mittwoch, 27. August 2008, 20:51
im roman die dämonen, von heimito von doderer, den ich erst am sonntag fertig gelesen habe, gibt es zwei kapitel mit dem titel "kurze kurven". beim lesen dieser beiden kapitel habe ich erkennen können, wie spielerisch und beweglich doderer mit seinem "material" umgeht.
doderers werke (vor allem die großen romane) arbeiten mit einer fülle an personeninventar. abgesehen davon, dass diese personen alle auf ihre art wesentlich und wichtig sind (haupt- und nebenfiguren gibt es im klassischen sinne in seinen büchern nur bedingt) stellen sie auch eines der großen probleme für die meisten leser dar, wenn es darum geht, in das buch einzudringen. da ist nicht ein "held", um den sich alles dreht, oder eine schlichte bezugsperson, die der leser einfach überstülpen kann, aus deren perspektive er nun den roman betrachtet. vielmehr ist es möglich (und nötig), die perspektive sehr frei zu wechseln und im laufe des lesens (und dann in der retro-spektive) die unterschiedlichsten bezüge und knüpfungen zu erkennen.
in den "dämonen" wird dieses spielen mit unterschiedlichsten perspektiven und sichtweisen noch dadurch veredelt, dass unterschiedliche imaginäre autoren in einer "chronik" zu wort kommen. erstaunlicherweise sind einige davon leicht erkennbare alter egos doderers, also gewissermaßen differente emanationen seiner selbst, die sich solcherart begegnen.
in den "kurzen kurven", die an zwei stellen im buch eingebaut sind, wird mit dem zu diesem zeitpunkt genügend etablierten inventar "räumlich" operiert. das bedeutet, dass von einer teilgruppe der personen, die gerade in ihren umständen beschrieben werden, mittels weniger worte auf eine andere "geschwenkt" wird, fast filmisch zu nennen. nachdem bei der anderen gruppe verweilt wurde, erfolgt ein schnitt zu einer anderen person, die wieder nach einer kurzen standortbestimmung knappest aber elegant auf eine andere überleitet. dadurch entsteht in diesen beiden kapiteln eine art bezugsnetz aus einzelnen bewegungsabfolgen, das eine oberflächenspannung wiedergibt, die nicht nur räumlich wahrnehmbar ist, sondern auch auf der tiefen ebene verwobener gefühle die tiefe der ereignisse spürbar macht.
noch nie erlebte ich in einem buch so eine modern-malerische herangehensweise an eine "handlung", die ja - in konsequenter weiterführung der strudlhofstiege - nur das drahtgerüst bildet für das eigentlich zentrale element dieser prosa: apperzeption schlechthin.
wahrnehmung als ernüchternde droge.
david ramirer - Mittwoch, 27. August 2008, 12:50