vor 14 jahren, zum jahreswechsel 1992/1993 fertigte ich im zeitraum von etwa 14 tagen eine serie von 25 portraits an.
diese serie ist recht interessant, wenn man sich mit früheren arbeiten von mir beschäftigen will; es war mir besonders wichtig, unterschiedlichste herangehensweisen sowohl an das thema portrait, als auch an die verwendeten techniken zu stellen.
zum technischen einsatz kam: bleistift, akrylfarbe, buntstift, aquarell, tusche, akryltusche, collage, schreibmaschine, frottage und kopien (bei einer collage).
alle bilder sind im format DIN A4 auf kopierpapier.

(12) mary vetsera

(19) mao tse-tung

(21) kurt krenn
die auswahl der portraitierten personen und die thematische annäherung an dieselben reflektiert einen damals von mir gepflogenen nicht gerade unbedingt sachten umgang mit der mich umgebenden welt (als reaktive auf- und abarbeitung).
das ganze set kann
hier zur begutachtung und ggfls. näheren prüfung abgerufen werden.
david ramirer - Mittwoch, 3. Januar 2007, 10:01
(akryl auf leinwand, 70 mal 90 cm, 1988)
beim ausgraben bzw. wiederfinden "alter" bilder denke ich mir heute, dass die rück- und selbstbezüglichkeit mancher titel schon oft auch selbstoffenbarender natur sein kann.
"dieses bild kommt ohne titel aus" bedeutet - auf einer metaphysisch-selbstbezüglichen ebene -
dieses bild kommt ohne betrachter aus.
rückbezüglich gesehen stimmt das...
gegenwärtig gesehen stimmt es auch.
david ramirer - Montag, 25. Dezember 2006, 13:55
dieses bild aus dem selben jahr wie
das andere, entstand natürlich unter dem starken einfluß von gottfried helnwein, der mich damals vor allem technisch beeindruckte.
inzwischen war ich bereits zu akryl auf bristol-karton übergegangen, 50 mal 70 zentimeter.
david ramirer - Dienstag, 19. Dezember 2006, 20:02
18 jahre später ist es jetzt etwa, seit ich dieses bild mit dem eigenwilligen titel "hermaphroditenspectrum", damals 18jährig, gemalt habe.
90 mal 180 zentimeter, öl auf leinwand (öl habe ich nach diesem bild übrigens lediglich in der küche verwendet). lag jetzt viele jahre eingerollt und unbeachtet. jetzt hängt es wieder herum. irgendwie auch ein fenster...
Erst bricht man Fenster. Dann wird man selbst eines.
(Heimito von Doderer)
david ramirer - Montag, 18. Dezember 2006, 09:15
in ergänzung zu meinem kleinen
gedanken von vor ein paar tagen,
muss ich heute korrigierend hinzufügen, dass der verweis auf
das schicksal auch ausdruck dafür sein kann,
dass bestimmte lebensereignisse nicht mit der reinen kraft des geistes
alleine durchschaut werden können.
david ramirer - Donnerstag, 14. Dezember 2006, 18:39
in die u-bahn einsteigen
"nach" einem tag
der noch fast ein drittel bereithält
und doch schon so beendet schien
an einem fensterplatz
jemanden sitzen sehen
den man lange schon kennt
und den man ungefähr alle zwei jahre sieht
am freien platz daneben
nichts sagen
nur warten
auf den ersten blick nach links
der dann kam...
ein fenster geht auf
durch diesen blick
auf jahre die im dunkeln liegen
auf jahre
die in ihrem dunkel
aber auch einen glanz haben
der heraufzustrahlen vermag
und so glänzt es denn
wie so selten
aber so unendlich wertvoll -
das silberstreifenband der verbundenheit
(für andrea b.)
david ramirer - Mittwoch, 29. November 2006, 11:35
mein großvater war in den wenigen jahren, in welchen ich ihn erlebte, ein ziemlich verschlossener und etwas rätselhafter mann.
sicherlich, ich liebte ihn. er war in den ersten jahren meines lebens eine wesentliche bezugsperson, ich wuchs in seiner wohnung auf, gemeinsam mit meiner großmutter. die beiden waren meine "ersatzeltern" und ich erlebte mit meinem großvater in meiner früheren kindheit, bis ich etwa 10 jahre alt war, wunderbare dinge.
nie vergessen werde ich einen ausflug mit ihm und einem freund von mir in einen steinbruch, wo wir im schoße der natur ein feuer machten, burenwürste grillten und diese dann von steinplatten gegessen haben. mein großvater erklärte mir, dass das die ursprünglichste art der nahrungsaufnahme sei: von steinen essen. es war unvergesslich.
der selbe großartige mann, der soviel über natur wusste, eine unglaubliche liebe zu den bergen hatte, viele bücher gelesen hat und schon so etwas wie ein freund war: er hatte in den letzten jahren seines lebens eine wandlung durchgemacht, die es mir sehr schwer machte, ihn zu lieben. er trank viel zu viel, machte seiner frau - und auch mir - das leben eher schwer bis schwerst und starb als alter, kranker, verbitterter mann, der sein enkerl in einem der letzten gespräche fragte, warum es eigentlich "du" zu ihm sagt.
lange jahre hatte ich die erinnerungen an ihn durch diese "brille der letzten jahre" gesehen.
vor einigen tagen bekam ich texte von ihm in die hand, die er teilweise im krieg, teilweise davor, und teilweise danach geschrieben hatte. diese texte sind erstaunliche texte. er führte ein - leider nicht komplettes - "bergtagebuch", in welchem er in beeindruckenden worten z.b. eine glocknerbesteigung aus dem jahre 1947 beschreibt.
aus seiner gefangenschaft in ägypten ist ein gedicht erhalten geblieben, das sehr treffend die leiden in der ferne zum ausdruck bringt. ein zeitloses dokument aus der isolation eines menschen, der nichts so sehr will, wie wieder in die heimat zu frau und tochter und bangt, ob beide noch leben.
und... in diesen gesammelten dokumenten findet sich das vielleicht einzige textdokument meines großvaters, das jemals veröffentlicht wurde. es handelt sich um einen "kriegsbericht", der in einer zeitung herauskam, deren name ich nicht kenne, weil er im darunter befindlichen impressum nicht aufscheint, vielleicht eine gewerkschaftszeitschrift, was weiß ich, ist mir auch egal.
diesen text möchte ich hier gerne zitieren, weil er beeindruckend ist. er beeindruckte mich deswegen so, weil mein großvater, der im krieg feldwebel war, diesen vorgang beschreibt wie eine bergwanderung, was ja eigentlich das war, was er am liebsten getan hat. der krieg ist bei seiner liebe zu den bergen eigentlich nur "dazwischengekommen".
hier präsentiere ich diesen text als abschrift, wie ihn mein großvater geschrieben hat:
* * * * * * *
"Sprung" auf eine adriatische Insel
von Karl Winter
An der Mole des kleinen Adriahafens schaukeln im sanften Wellentanz des Meeres schwarze Schatten; Sturmfähren, Landungsboote und Küstenjäger, die Flotte unseres neuen "Sprungs". Aus den steinigen Berggassen, die zum Kai hinunterführen, quellen, Ameisen gleich, lange Reihen schwerbewaffneter Gebirgsjäger, Kompanie auf Kompanie formiert sich auf dem Hafenplatz unter den Wipfeln bizarrer Palmen. Gedämpfte Zurufe, leise klirrende Waffen; plötzlich mischt sich der Laut einer neuen Bewegung hinzu, das Verladen beginnt, Zug um Zug besteigt die Schiffe, Waffen und Munition werden für die Ladung zurechtgemacht. 35 Kilometer trennen uns von unserem Ziel. Wird uns der Sprung gelingen? Oder werden uns die Briten-Zerstörer vorher versenken, wird das Boot auf eine Treibmine laufen, werden sie uns noch vor der Landung mit ihren MG.s vom Deck fegen?
Eine ungeheure Spannung erfüllt uns alle, es muß einfach gelingen, es gibt doch kein Zurück mehr. Nicht lange und schon hört man wieder den trockenen Soldatenhumor, der meistens vor der Entscheidung ganz toll zum Ausdruck kommt; dabei vergessen wir das unbehagliche Gefühl der Landratten, Seemann spielen zu müssen. Ja, wenn wir nur schon drüben wären, wenn wir nur wieder festen Boden unter unseren Bergschuhen hätten -.
Pünktlich ist das Verladen beendet. Kurze Kommandos, aufbrummende Motore, rasselnde Ankerketten, sich lösende Taue. Ahoi! Wir legen ab! Ein paar Manöver, dann schwärmen Sturmfähren und Boote aus. Silbergrün schillert das Meer. Wie riesige Panzer pflügen unsere Boote die phosphoreszierende Flut. Rasende Schrauben wühlen schneeweiße Schaumstraßen auf, es ist ein phantastisches Schauspiel.
Kurz nach dem Start, es ist Mitternacht, reißt die schwarze Wolkendecke auf und gibt dem flutenden Mondlicht freie Bahn. Noch schöner, gespensterhafter ist das Bild als zuvor, noch bezaubernder die Schönheit der dalmatinischen Nacht. Hinter unserem Rücken ragt, anderthalbtausend Meter hoch, die gewaltige Kette eines Felsmassivs, gekrönt von bläulich glitzernden Schneekoppen, über denen, gleich kostbaren Brillanten, unzählige Sterne funkeln. – Sehen wir sie zum letztenmal? fährt es mir durch den Sinn -, doch weg mit solchen quälenden Gedanken, wir kämpfen um zu leben! Schon habe ich den Blick nach vorne gewendet und meine Gedanken auf das Kommende konzentriert, meine Augen spähen gespannt dem Ziel entgegen. Noch vier Stunden Fahrt sind es bis dahin; immer schärfer hebt sich im Mondlicht der Umriß der Insel ab, höher steigen ihre Felsen in des Firmament. Jetzt, wenige hundert Meter vor der Inselküste, ist der Augenblick gekommen, in dem wir uns bemerkbar machen müssen, um einer Überraschung durch den Feind vorzubeugen. Schlagartig beginnen die deutschen Batterien auf einer nahen von uns besetzten Halbinsel das Feuer auf die Landabschnitte von unserer Zielinsel zu legen. Heulend fliegen ihre Geschosse über uns hinweg, detonieren als flammende Blitze im Ziel. Auch wir auf den Angriffsbooten eröffnen nun überfallsartig das Feuer. Glühend rote und flimmernd grüne Leuchtspurketten aus unseren leichten und schweren Maschinenwaffen hetzen gegen das Ufer, spiegeln sich im Meer, ein sprühendes Feuerwerk tobt an der nahen feindlichen Insel – das Bersten unserer Granaten am Küstenfels.
„Äußerste Kraft voraus!“ Der Dieselmotor im Heck des Schiffes heult auf, und wie der Sturmwind brausen wir gegen das feindliche Ufer.
Wirbelndes Einschwenken, und schon legen wir an, springen das mit Geröll übersäte Steilufer empor. Rasch entfalten sich die einzelnen Kompanien und bilden einen Brückenkopf, aus dem sofort der Vormarsch ins Innere der Insel angetreten wird. Über karstige Hänge, Saumpfade und steinumfriedete Weinberge dringen wir vorwärts, den würzigen Duft taufrischer Meerstrandkiefern und anderer subtropischer Gewächse atmend.
Der Sprung war gelungen!
Im Morgengrauen ist die Insel besetzt.
* * * * * * *
irgendwie hat mich dieser text - und die anderen - mit meinem großvater wieder ausgesöhnt.
es ist, als ob er mir - nach all den jahren - aus seinen "besseren zeiten" einen gruß hersendet. seine liebe zu den bergen - die ich auch in mir spüre - und seine art und weise wie er die welt offenbar wahrgenommen hat - ich bin in dem text bei manchen stellen unglaublich an meine eigenen gefühle erinnert, wenn ich spaziergänge mache, oder in der natur etwas wahrnehme - ist mir vertrauter als zuletzt. es ist fast so, als ob jemand "verloren geglaubter" ja doch die ganze zeit auch dagewesen ist und sich in mir nun endlich wieder manifestiert.
als ob das, was an meinem großvater so wertvoll war, auch in mir weiterkeimt und mir aber auch eine verantwortung übereignet: mach es besser.
ich werde es versuchen.
und: danke, opa.
david ramirer - Sonntag, 15. Oktober 2006, 22:16